Bildschirmtypografie

Der Hauptunterschied zwischen der klassischen- und der Bildschirmtypografie liegt in der geringen Auflösung des Bildschirms gegenüber anderen Ausgabemedien und der damit verbundenen schlechten Darstellung. Die Farbdarstellung und das Format bilden weitere Unterscheidungsmerkmale. Gleich, wie ausgefallen die heutige Schrifttechnologien sein mögen, bedeutet der Bildschirm als Darstellungsmedium für typografisches Gestalten, bzw. für die Ästhetik der Schrift gewissermaßen einen Schritt rückwärts. Dieser qualitative Schritt rückwärts, ist aus meiner Sicht vergleichbar mit dem Fortschritt, als der Umstieg von Typografie mit Hammer und Meißel auf Stein zur Typografie auf Papier gelang.
 
 

Die Problematik der Bildschirmauflösung

Insbesondere für die Wiedergabe von kleiner Schriftgraden, ist der Bildschirm aus typografischer Sicht ein schlechtes Medium. Die geringe Auflösung bewahrt in der Regel nur wenig von den typografischen Charakteristiken der Schriften. Je kleiner also die Schriftgrade, umso weniger Eigenschaften bleiben erhalten, da die Anzahl der verfügbaren Pixel sehr limitiert ist. Normalerweise werden Schriften bis hinunter zu 18 x 18 Pixel pro Geviert gut gerastert. Darunter jedoch werden die Differenzierungsmöglichkeiten begrenzter und ergeben nur eine begrenzte Anzahl von sinngemäßen Möglichkeiten. Dieser Effekt wird noch ‚Auflösungstrichter‘ genannt. Am Ende des Trichters ist ein Geviert von 6 x 6 Pixel, bei dem nur noch eine Schrift erhalten werden kann. Zwischen den 6 x 6 und 18 x 18 Pixel pro Geviert sind schätzungsweise nur 142 verschiedene und vom Design her unterscheidbare Bitmap-Schriften möglich. 102 Die Abbildung 4.10-1 103 auf der nächsten Seite verdeutlicht diesen Effekt.

"Wir brauchen einfach bessere Monitore. Zur Zeit bleibt einem doch gar nichts anderes übrig, als unter den schlechten Bildschirmschriften die am wenigsten schlechten auszuwählen. Aber auf jeden Fall nützt das Jammern nichts, als Typograf kommt man heutzutage nicht darum herum, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen." 104

Es ist durchaus verständlich, daß die ‚digitale Typografie‘ und die auf Pixeln basierenden Druck- und Ausgabemedien die heutige Schriftgestaltung beeinflussen - manchmal positiv, oft jedoch negativ. Für Schriften könnte dies in der Zukunft bedeuten, daß geringfügig unterschiedliche Winkel oder flache Kurven schon bei der Gestaltung ausgelassen werden, um eine gute Darstellung zu ermöglichen.


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Abb. 4.10-1
Der ‚Auflösungstrichter‘

Der Macintosh-Bildshchirm hat eine nominale Auflösung, die sich seit seiner Einführung 1984 nicht geändert hat. Diese Auflösung beträgt 72 ppi (Pixel per Inch) und somit ist 1 Pixel = 1 Punkt. Für das Publizieren im Print-Bereich – worauf sich der Mac vom Anfang an orientierte – machte diese Auflösung Sinn. Für den PC ist standardgemäß eine 96 ppi Auflösung gewählt worden. Diese Auflösungen sind jedoch nur Angaben mit welchen die operativen Systeme arbeiten, um die Schrift ‚akkurat‘ durch Rasterung darzustellen. Die Bildschirme selbst sind jedoch in der Lage, auch feinere Auflösungen zu nutzen – 108 ppi, 120 ppi, usw. Dadurch ist eine gleichbleibende Darstellung nicht gewährleistet. (Abb. 4.10-2) 105


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Abb. 4.10-2
Unterschiedliche Darstellung einundderselben Schriftgröße auf Windows und Macintosh

Diese Diskrepanzen ergeben sich aus der im Kapitel 2.3 vorgestellten Berechnungsmethode:

1 Pica-Point (auch DTP-Punkt)= 0,352 mm
12 Pica-Points = 1 Pica
72 Pica-Points = 6 Pica = 1 Inch

Mit dieser Berechnung ergeben sich dann folgende Werte:

Monitor/ppi    72 96 108 120
Pica     6 8 9 10
ppm     12 16 18 20

wobei ‚ppi‘ für Pidel per Inch und ‚ppm‘ für Pixel per ‚em‘ (das Geviert) steht. Somit stehen einem 12 pt Geviert bei einer Monitorauflösung von 72 ppi zwölf Pixel zur Verfügung, bei 96 ppi sechzehn und bei 108 ppi schon achtzehn Pixel.
 
 

Auswirkungen auf die Schriftdarstellung

Interessante Auswirkungen hat die Berechnung der Outlines in die Pixelmatrix. Wegen der schon erwähnten notwendigen, mathematischen Aufrundungen (es gibt leider keinen halben Pixel), ergeben sich auch hier sehr undterschiedliche Schriftbilder ein und derselben Schrift. Man könnte sagen, daß sich die Charakteristik der Schrift mit der Punktgröße ändert. Merkmale wie Strichstärke, Punze, Versal- bzw. x-höhe, und Dickte verändern sich permanent.


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Abb. 4.10-3
Veränderung des Schriftbildes (8–18 pt)

 


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Abb. 4.10-4
Veränderung der Strichstärken und Versalhöhen (8–18 pt)

Auffällig ist dabei die Veränderung der Strichstärke sowie der Versal-/x-höhe bei bestimmten Schriftgraden (Abb. 4.10-4). Einige Schriftgrade verändern die Strichstärke nicht aber die Versalhöhe. Bei anderen Graden passiert jedoch genau das Gegenteil.

Auch im Zusammenhang mit dem Hinting, dem ATM und dem Anti-Aliasing ergeben sich unterschiedliche Auswirkungen auf die Bildschirmdarstellung der Schrift. Diese Verfahren haben jedoch unterschiedliche Aufgaben. Das Hinting sorgt für ein gleichmäßiges Schriftbild (gleichbleibende Strichstärken, gleiche Grundlinie der Buchstaben, usw.). Das ATM-Kontrollfeld erlaubt das freie Skalieren von Type 1 Fonts. Das Anti-Aliasing sorgt indessen für eine verbesserte Darstellung, insbesondere bei Rundungen.


Ohne ATM Mit ATM Mit ATM und Anti-Aliasing
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Abb. 4.10-5
Unterschiedliche Bildschirmdarstellung

Das ATM-Kontrollfeld bietet dem User desweiteren die Möglichkeit, zu entscheiden, wie die Darstellung von instalierten Bitmap-Schriftgraden erfolgen soll. Dabei sollte bedacht werden, daß bei professionell erstellten Fonts bestimmte Schriftgrade in ihrer Bitmapform für den Bildschirm optimiert sind (oft sind dies kleinere Schrifgrade, z.B. 9, 10, 12, 14 pt). Das Einschalten des ATM und des Anti-Aliasing können bei diesen Graden, und in Abhängigkeit der Benutzten Schrift eine Verschlechterung der Darstellung mit sich bringen. In solchen Fällen sollte das Anti-Aliasing ausgeschaltet werden.


Mit ATM Mit ATM und Anti-Aliasing
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Abb. 4.10-6
Unterschiedliche Bildschirmdarstellung bei festen Bitmapgrößen

 
 

Schriftgestaltung & Typografie am Bildschirm

Obwohl der Bildschirm natürlich eine Umstellung für den Schriftgestalter und den Typografen bedeutet und ein Umdenken wegen der neuen Eigenschaften mit sich bringt, hält sich die Bildschirmtypografie an viele Regeln der klassischen Typografie. So werden die Buchstabenformen möglichst offen gehalten, um die Lesbarkeit nicht zu erschweren. Zu beachten sind dabei die Gemeinen (Kleinbuchstaben) in kleineren Schriftgrößen, wie das a, e, g, b, d, o, p, q, s und die Ziffern 6, 8 und 9 sowie die Versalien (Großbuchstaben) A, B, P, R. Dabei wird diese Offenheit nicht zuletzt auch durch die Hintergrundfarbe beeinflußt.

Der Buchstabenzwischenraum soll den Weißräumen der Punzen, wie dem n, angeglichen werden. Wichtig ist dies, um eine rhythmische Spationierung zu erzielen und damit eine gute Lesbarkeit. Es sei jedoch bedacht, daß diese Räume auch von dem Schriftgrad abhängen. Ist also der Buchstabenzwischenraum einer 10 pt Schrift zu eng, kann es durchaus sein, daß er bei 12 pt aktzeptabel erscheint.


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Abb. 4.10-7
Buchstabenzwischenräume bei 10 pt. Links zu gering, rechts angemessen.

Des weiteren hängt die Spationierung vom Helligkeitskontrast zwischen Text und Hintergrund ab. Besonders auffällig wird dies bei weißem Text auf schwarzem Hintergrund, wobei es bei zu geringer Spationierung zur Überstrahlung und Verschmelzung der Buchstaben kommt. Um diesen Effekt zu vermeiden, wird bei solcher Gestaltung eine größere Spationierung vorgenommen.

Nicht zuletzt wird die Lesbarkeit durch den Kontrast der Strichstärken (bzw. der An- und Abstriche) einer Schrift beeinflußt. Je höher der Kontrast, umso lesbarer die Schrift. Dabei kommt es zu einem Widerspruch, da meistens eine groteske (serifenlose) Schrift für die Bildschirmgestaltung empfohlen wird. Je grotesker eine Schrift, umso geringer wird aber der Strichstärkenkontrast.

Bei den Serifenschriften, die bei der klassischen Typografie für Mengentext gut geeignet sind, da sie mit ihren Serifen die Zeilenbildung betonen, entsteht das Problem der schlechten Serifendarstellung auf dem Bildschirm. Eine mögliche Abhilfe wäre die Benutzung von Egyptienne (serifenbetonten) Schriften für mittlere Größen, deren Serife von vornherein kantig sind und dadurch von Pixeln auch tatsächlich gefüllt werden können. In kleineren Schriftgraden wirken Serife auf dem Bildschirm eher störend.
 
 

Das Format

Das Format erweist sich als ein weiterer Unterschied. Druckerzeugnisse haben meist ein Hochformat, während Bildschirme ein Querformat aufweisen (abgesehen von den drehbaren Bildschirmen, die das Arbeiten im Hochformat erlauben). Es ist dadurch falsch, eine Seite im Hochformat zu gestalten und sie danach für eine Bildschirmseite (Screen) zu übernehmen. Denn dem Leser soll nicht zugemutet werden, ständig hin und her zu blättern (scrollen).

Umständlich ist dies nicht nur. weil nach dem scrollen die zuletzt gelesene Zeile gefunden werden muß, sondern auch, weil bei schlechter Gestaltung Zeilen am Bildschirmrand nur teilweise zu erkennen sind. Des weiteren ergibt sich eine Einschränkung bei der Gestaltung durch die Bildschirmgröße. Es sollte beachtet werden, daß bei Otto Normalverbraucher 14-Zoll Monitore noch am meisten verbreitet sind.
 
 


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